Auswirkungen der Corona-Virus-Krise: Zur Änderung von § 28 Infektionsschutzgesetz –

Grundrechtsintensive Eingriffe auf sicherer Rechtsgrundlage?

 

Im Eilverfahren wurde das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ von Bundeskabinett, Bundestag und Bundesrat beschlossen. (Mandanteninformation vom 01.04.2020) Gegenstand der Gesetzesänderung war insbesondere eine Novellierung von § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG).

 

Zum Zwecke der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wurden bislang zahlreiche grundrechtsverkürzende Maßnahmen auf die einfachgesetzliche Grundlage des § 28 IfSG gestützt. Gemeint sind Universitäts-, Schul- und Kitaschließungen, Schließungen von Einzelhandelsgeschäften, umfassende Beschränkungen des Grenz- und Reiseverkehrs, Verbot der Nutzung von Zweitwohnungen, bundesweite Versammlungs- und Kontaktverbote. Diese Maßnahmen schränken die individuellen Freiheiten massiv ein und gefährden große Teile der deutschen Wirtschaft. Laut Handelsblatt vom 27.03.2020 haben in Deutschland im März 2020 etwa 470.000 Unternehmen Kurzarbeit beantragt. Unter 1.465 befragten Familienunternehmen haben 65 % angegeben, dass ihre Unternehmenstätigkeit seit den Corona-Maßnahmen vor allem infolge verringerter Nachfrage gesunken sei.

 

In unserer früheren Mandanteninformation vom 20.03.2020 hatten wir darauf hingewiesen, dass § 28 IfSG als Rechtsgrundlage für flächendeckende Ausgangssperren nicht in Frage komme. Eine Heranziehung von § 28 Abs. 1 S. 2 aE IfSG scheitere schon daran, dass diese Vorschrift nur kurzfristige Maßnahmen gestattete, „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“. Aufgrund ihrer Unbestimmtheit ließen sich massive kollektive Grundrechtseingriffe auch nicht auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG stützen.

 

Der Gesetzgeber hat auf dieses Problem reagiert und § 28 Abs. 1 IfSG „aus Gründen der Normenklarheit“ – wie es in der Gesetzesbegründung heißt – wie folgt geändert:

 

„(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt […], so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten […].“

 

Der Satz „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“ am Ende des ursprünglichen Satzes 2 ist im Zuge der Novellierung gestrichen worden. Damit soll die ursprüngliche Beschränkung auf nur kurzfristige Maßnahmen während der Durchführung anderweitiger Schutzmaßnahmen [gegen einzelne, individuell gefährliche Personen] wegfallen und eine grundsätzliche Heranziehung dieser Norm z.B. für eine grundrechtsintensive Ausgangssperre auch gegen Nichtstörer möglich sein. Klargestellt wird zudem, dass das Verbot, einen Ort zu verlassen, nicht nur absolut, sondern auch als eingeschränktes Verbot („nur unter bestimmten Bedingungen“) ausgesprochen werden kann. Das Betretungsverbot, das ursprünglich nur „bestimmte Orte“ umfasste wird ergänzt durch „öffentliche Orte“.

 

Die Änderungen verdeutlichen, dass es offenbar Ziel des Gesetzgebers war, grundrechtsverkürzende Instrumente wie die Ausgangssperre mit der Neufassung des § 28 Abs. 1 IfSG auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stützen und gegenüber Nichtstörern zu legitimieren. Dem Gesetzgeber ist dies aus unserer Sicht aber nicht gelungen.

 

Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG). Eingriffe in Grundrechte stehen demnach unter dem Vorbehalt eines förmlichen Gesetzes des demokratisch in besonderer Weise legitimierten Parlaments. Das Bundesverfassungsgericht hat sinngemäß festgestellt: Je schwerer ein Grundrechtseingriff wiegt, desto präziser muss die zulässige Maßnahme in einem Parlamentsgesetz geregelt und durch Tatbestandsvoraussetzungen abgesichert werden, die eine Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewährleisten. Die Neuregelung des § 28 Abs. 1 IfSG wird diesen Maßstäben im Hinblick auf grundrechtsintensive Eingriffe wie Aufenthaltssperren, Kontaktverbote und umfangreiche Betretungsverbote nicht gerecht:

 

  • In tatbestandlicher Hinsicht erfahren die Maßnahmen keinerlei Eingrenzung. Die Gesetzesnovelle räumt dem Bundesministerium für Gesundheit weitreichende Anordnungsbefugnisse sowie Kompetenzen zum Erlass von Rechtsverordnungen ein. Diese sind geknüpft an die konstitutive Feststellung des Bundestages, dass eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ vorliegt (siehe Mandanteninformation vom 01.04.2020). Eine solche eingrenzende Anknüpfung fehlt in der Neufassung des § 28 Abs. 1 IfSG. Zumindest ihrem Wortlaut nach ließe die Vorschrift zu, dass grundrechtsintensive Maßnahmen künftig auch in weniger gravierenden Fällen möglich sind.
  • Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat auch eine zeitliche Komponente. Eine zeitliche Begrenzung lässt die Neuregelung von § 28 Abs. 1 IfSG in der Rechtsfolge vermissen. Insbesondere bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ist es wichtig, dass der einzelne die zeitliche Dauer der Maßnahme überblicken kann. Je länger die Maßnahmen andauern, desto höher sind die Anforderungen an ihre Rechtfertigung.

 

Die Befugnis, eine einfachgesetzliche Norm für mit dem Grundgesetz unvereinbar oder sogar nichtig zu erklären, liegt beim Bundesverfassungsgericht. Es bleibt abzuwarten, wie das höchste Gericht in Deutschland entscheiden wird – sofern es mit der Angelegenheit befasst wird. Bis dahin liegt die Verantwortung für grundrechtsintensive Maßnahmen auch und insbesondere in Krisenzeiten zuvorderst bei den Parlamenten. Es ist ihre Aufgabe, gesetzliche Befugnisse zur Pandemiebekämpfung auf eine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage zu stellen. Gesetzgeberische Hektik und parlamentarische Schnellschüsse werden dem nicht gerecht. Besonders existenzgefährdete Unternehmen sollten die Rechtmäßigkeit gegen sie gerichteter Corona-Maßnahmen rechtlich prüfen lassen.

 

Im Falle eines Beratungsbedarfs steht Ihnen unsere Sozietät SammlerUsinger gern zur Verfügung.

 

Ansprechpartner sind hier Herr Rechtsanwalt Dr. Claus-Peter Martens, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Moench, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Herr Rechtsanwalt David Brosende.

 

Datei zum DOWNWLOAD

Zurück