Auswirkungen der Corona-Virus-Krise: Das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ im Überblick

 

Am 27.03. hat der Bundesrat in einer Sondersitzung dem vom Bundestag zwei Tage zuvor beschlossenen „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zugestimmt. Am selben Tag erfolgte die Verkündung im Bundesgesetzblatt. Das Gesetz ist überwiegend am 28.03. in Kraft getreten.

 

Das Gesetz ändert mehrere bestehende Gesetze. Im Zentrum des Artikelgesetzes steht aber eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Die Neufassung definiert zunächst die „epidemische Notlage von nationaler Tragweite“ und legt fest, dass eine solche Notlage vom Bundestag konstitutiv festzustellen, aber auch wieder aufzuheben ist, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Mit Beschluss vom 26.03. hat der Bundestag aufgrund der derzeitigen Ausbreitung des neuen Corona Virus (SARS-CoV-2) in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt.

 

Das Gesetz enthält weitgehende Ermächtigungen für das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) „unbeschadet der Befugnisse der Länder“, Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates zu erlassen sowie sofort vollziehbare Anordnungen zu treffen.

 

Die wesentlichen Änderungen im Überblick:

 

1. Einschränkung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs

 

Im Falle einer bundesweiten Epidemie kann das BMG Anordnungen treffen, die z.B. den grenzüberschreitenden Personenverkehr beschränken oder Maßnahmen festlegen, um die Identität und den Gesundheitszustand von Einreisenden festzustellen.

 

2. Sicherstellung der Gesundheitsversorgung

 

Das BMG erhält die Befugnis, durch Rechtsverordnung Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln, mit Medizinprodukten, Produkten zur Desinfektion und Labordiagnostik zu treffen.

 

3. Zulassung von Ausnahmen von den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes

 

Das neue Gesetz ermächtigt das BMG „Ausnahmen von den Vorschriften [des Infektionsschutzgesetzes] sowie der auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen in Bezug auf die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten […] zuzulassen, um die Abläufe im Gesundheitswesen und die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten“.

 

4. Änderung der Regelung zu Schutzmaßnahmen

 

Nur minimal geändert wird § 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz, auf den gegenwärtig zahlreiche Schutzmaßnahmen wie Ausgangs- und Kontaktsperren in rechtswidriger Weise gestützt werden. Auch nach der Gesetzesänderung bleibt die Norm unbestimmt und hat einen so weiten Anwendungsbereich, dass grundrechtsintensive Eingriffe wie Aufenthaltssperren, Kontaktverbote sowie umfangreiche Betretungsverbote gegen Nichtstörer nicht auf diese Grundlage gestützt werden können. Die Regelung wird den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen für freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Maßnahme nicht gerecht. Wir werden hierzu in einem gesonderten Beitrag informieren.

 

5. Stärkung personeller Ressourcen

 

Die Gesetzesänderung ermöglicht Maßnahmen, um die personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu stärken. Im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird bestimmten Personen, z.B. Pflegekräften und Notfallsanitätern die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten gestattet.

 

6. Entschädigungsregelung für Eltern

 

In das Infektionsschutzgesetz wurde eine Entschädigungsregelung für Eltern aufgenommen, die wegen der notwendigen Kinderbetreuung während einer Pandemie Verdienstausfälle erleiden. Die Entschädigung i.H.v. 67 % des Nettoeinkommens wird bis zu sechs Wochen gewährt und ist auf einen monatlichen Höchstbetrag von EUR 2.016 begrenzt.

 

7. Änderung des Baugesetzbuches

 

Das neue Gesetz regelt baurechtliche Ausnahmen, um etwa kurzfristig medizinische Einrichtungen errichten zu können.

 

Die Befugnisse sind zeitlich befristet. Auf der Grundlage des neuen Gesetzes getroffene Anordnungen oder erlassene Rechtsverordnungen treten mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag außer Kraft, spätestens aber mit Ablauf des 31.03.2021.

 

Die Gesetzesänderung stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Nach Art. 83 GG sind die Länder für die Ausführung der Bundesgesetze als eigene Sache zuständig. Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird der den Ländern obliegende Vollzug dieses Gesetzes dem BMG überantwortet. Dies widerspricht der grundlegenden Entscheidung des Verfassungsgebers, staatliche Macht zu dezentralisieren. Diese mit dem Grundgesetz (auch in Krisenzeiten) nicht vereinbare Kompetenzverschiebung von den Ländern auf den Bund ist umso bedenklicher, da die Rechtsverordnungen des BMG vollständig ohne Bundesratszustimmung erlassen werden. Unklar ist auch, wie die Umsetzung in die Praxis erfolgt, zumal das BMG noch nicht einmal über eine eigene „Gesundheitspolizei“ verfügt.

 

Eine allgemeine Befugnis des BMG Ausnahmen von den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes zuzulassen, ist mit Art. 80 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, da hier große, nicht abgegrenzte Teile des Infektionsschutzgesetzes derogiert werden können. Inhalt, Zweck und Ausmaß sind nicht bestimmt. Auf Bedenken stößt hier ferner, dass die Notfallkompetenzen von einem einzelnen Ministerium und nicht von der Bundesregierung als Kollegialorgan ausgeführt werden können.

 

Letztlich kann nur das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesänderungen entscheiden. Bis zu einer solchen Entscheidung ist die Gesetzesänderung wirksam.

 

Diese Information soll betroffene Unternehmen und öffentliche Auftraggeber für das Thema sensibilisieren, stellt aber keine rechtliche Beratung für einen konkreten Einzelfall dar und soll und kann eine solche Beratung auch nicht entbehrlich machen.

 

Im Falle eines Beratungsbedarfs steht Ihnen unsere Sozietät SammlerUsinger gern zur Verfügung.

 

Ansprechpartner sind hier Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Moench, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Herr Rechtsanwalt David Brosende.

 

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